Am 21.12.2020 verkündete das Oberlandesgericht Naumburg das Urteil in dem sogenannten Halle-Prozess. Der Täter des versuchten Attentats auf die jüdische Gemeinde in Halle am 9. Oktober 2019 – an Jom Kippur –  wurde wegen Mordes, versuchten Mordes sowie weiterer Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit und die Allgemeinheit zu lebenslanger Haft unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt. Er hatte versucht, in die Synagoge in Halle einzudringen, um dort eine möglichst große Anzahl der Anwesenden zu töten. Als das Eindringen misslang, erschoss er eine Passantin und einen Gast eines Imbisses, und verletzte weitere Personen auf seiner Flucht.

Die Tat reiht sich in die Chronik antisemitischer und rassistischer Attentate in Deutschland ein. Erstmalig wurde von der seit 2018 bestehenden Möglichkeit, Tonaufnahmen von Verfahren anzufertigen, Gebrauch gemacht. Voraussetzung dafür war die herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung im Sinne des § 169 Abs. 2 GVG.

Die vorangegangene Diskussion über die Möglichkeit von Tonaufnahmen im Gerichtssaal ist in § 169 Abs. 2 GVG zumindest vorläufig entschieden. Offen ist nun die Frage, was ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung kennzeichnet. Dass das Kriterium in einem Verfahren zu antisemitisch und rassistisch motivierter Gewalt erstmals bejaht wurde, könnte wegweisend sein.

Das Urteil im Halle-Prozess bietet Anlass, die Neuregelung des § 169 GVG und die Auslegung des Merkmals der „herausragenden zeitgeschichtlichen Bedeutung“ mit der gesellschaftspolitischen Dimension antisemitisch motivierter Straftaten und Antisemitismus in unserer heutigen Gesellschaft zu verbinden. Wir freuen uns deshalb, dass wir mit Dr. Katrin Wick (Rechtsanwältin) und Benjamin Steinitz (Leiter der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin) sowohl eine Referentin zur juristischen Einordnung und Entwicklung des § 169 GVG als auch einen Referenten zur gesellschaftspolitischen Bedeutung des Verfahrens, antisemitisch motivierten Übergriffen und Antisemitismus in Deutschland gewinnen konnten. Nach den Vorträgen stehen die Referent:innen zu einer Diskussion bereit, zu der alle interessierten Zuhörer:innen eingeladen sind.

Dr. Katrin Wick ist Rechtsanwältin bei Clifford Chance in Frankfurt. Sie promovierte zur Demokratischen Legitimation von Strafverfahren und im Besonderen zum Öffentlichkeitsgrundsatz gemäß § 169 GVG nach dem EMöGG.

Benjamin Steinitz ist Projektleiter bei der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) sowie in der Geschäftsführung des Bundesverbandes RIAS e.V. Im Halle-Prozess sagte er als Sachverständiger aus.

Die Veranstaltung findet digital statt. Eine Voranmeldung unter http://uhh.de/rw-halle-prozess ist notwendig. Der Zugangslink wird nach erfolgreicher Anmeldung individuell zugestellt.

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